Die Fettnäpfe sind bereits aufgereiht, im Idealfall erkennt man sie und versucht, sie zu vermeiden. Jeder macht Fehler, viele davon werden verziehen oder können rückgängig gemacht werden. In Ungarn ist es zum Beispiel nicht üblich, dass ein Mann einer Frau zur Begrüßung als Erster die Hand gibt. Das ist unhöflich, kann aber verziehen werden. Oder wenn ein Deutscher mit Slowaken oder Tschechen nostalgisch über die Zeit vor der Wende (Ostalgie) spricht, wird er nicht verstanden werden, und er wird auch nicht viele Sympathien gewinnen. Fatale Folgen hat es nicht.

Im Grunde gibt es nur zwei wirklich kritische Fehler, die ein interkulturelles Projekt oder die Zusammenarbeit in einem Team oder mit Kunden zum Scheitern bringen können:
1. Die eigene Kultur ist das Nonplusultra:
Zu oft habe ich diesen Satz im Zusammenhang mit interkultureller Beratung gehört: "Bei uns läuft doch alles gut. Warum übernehmen die anderen nicht einfach unsere kulturellen Standards?“ Nun, so einfach ist das nicht. Kulturen entwickeln sich aus ihrem eigenen Kontext, ihrer eigenen Geschichte heraus. Und die ist von Region zu Region unterschiedlich. Auch hier in Europa.
Außerdem sind Kulturstandards kein Überzug, den man nach Belieben über eine Kultur stülpen kann.
Wie also können zum Beispiel vergleichbare Leistungsindikatoren aussehen, die kulturelle Standards berücksichtigen. Nehmen wir eine konkrete Aufgabe (stark vereinfacht) aus dem Vertriebsbereich:
Sie haben ein Sales Team in Deutschland und eins in Tschechien. Damit Ihre Vertriebsstrategie aufgeht, wollen Sie eine Vergleichbarkeit der Aktivitäten Ihrer Sales Manager in beiden Ländern erreichen. Dazu verfolgen Sie die Aktivitäten Ihrer Vertriebsmitarbeiter nach der Art des Kundenkontakts. Bislang sah das für den deutschen Kollegen Jens vereinfacht so aus:

Jens hatte im März 9 persönliche Kundenbesuche und 17 telefonische Kundenkontakte. Nun möchten Sie die Vertriebskollegen in Tschechien, insbesondere den Sales Manager Pavel, mit Jens vergleichen. In Tschechien ist der Bedarf an persönlichen und telefonischen Kontakten unterschiedlich, da persönliche Treffen viel wichtiger sind.
Die Übersicht zu Jens wird ein wenig komplexer: Nach einem Workshop mit dem Sales Team fügen wir eine Gewichtung hinzu, um den kulturellen Standard zu berücksichtigen:

Hier zeigt sich, dass persönliche Besuche auch bei Jens eine höhere Gewichtung haben als Telefonate.
Bei dem tschechischen Kollegen Pavel sieht die Gewichtung, die auch nach einem Workshop eingeführt wurde, noch deutlicher aus:

Beide Kollegen haben eine vergleichbare Anzahl von Kontakten (26 vs. 25) und der Wert der Besuche/Kontakte ist bei beiden gleich. Bei der Gewichtung wird jedoch der kulturelle Standard der Bevorzugung persönlicher Kontakte berücksichtigt und somit muss die Aufteilung der einzelnen Kundenkontakte individuell anders verteilt werden.
2. Die interkulturellen Unterschiede bieten eine gute Ausrede
Diesen Satz habe ich auch schon oft gehört: "Wir haben noch keinen klaren Durchblick, aber wir können unsere Maßnahmen nicht so schnell umsetzen, die Kultur der Kollegen lässt das nicht zu. Wir müssen den Kollegen mehr Zeit geben. Die drei Jahre waren zu wenig.“
Ihre Kollegen wissen, dass Sie auf interkulturelle Unterschiede Rücksicht nehmen wollen. Wahrscheinlich haben sie Sie sogar darum gebeten, dies zu tun. Das ist eine gute Absicht. Sie darf aber nicht dazu führen, dass Sie unter dem Deckmantel der interkulturellen Unterschiede jede Konfrontation scheuen und Ihre Ziele hintenanstellen.
Ein konkretes Beispiel:
Sie suchen einen Country Manager für die Tochtergesellschaft in der Slowakei. Seit Jahren versuchen Sie, sich einen vollständigen Überblick zu verschaffen. Sie wissen nicht genau, wie die interne Struktur aussieht, welche Abhängigkeiten bestehen, wie die Beschaffung von Material, Personal usw. funktioniert. Das eigentliche Problem ist aber, dass man keine verlässlichen Zahlen aus der Slowakei bekommt. Wenn man etwas bekommt, war es ein harter Kampf und meistens sind die Zahlen noch unvollständig.
Also wird ein lokaler Country Manager gesucht und gefunden, der die Sprache spricht und seit Jahren in der Branche in der Slowakei gut vernetzt ist. Zuvor war er sogar für die Konkurrenz tätig.
In der Slowakei ist gefühlt jeder mit jedem zur Schule gegangen. Es ist ein kleines Land. Die Vernetzung des neuen Country Managers ist Segen und Fluch zugleich, denn sie macht es ihm nahezu unmöglich, neutral zu sein. Und genau das ist für seine neue Rolle bei Ihnen unerlässlich. Die Folge für Sie ist ein fortwährender Kampf um Transparenz.
Die Lösung des Problems wäre für Sie einfacher, wenn Sie eine andere Besetzung wählen würden - eine Person, die neutral sein kann, weil sie örtlich unabhängig und dennoch sachkundig ist.
FAZIT:
Wenn Sie Ihre Standards durchsetzen wollen, filtern Sie zunächst das Unveränderbare heraus und passen Sie den Rest an die lokalen Gegebenheiten an. Das fördert die Akzeptanz.
Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie auf kulturelle Unterschiede Rücksicht nehmen, Ihr Gegenüber aber zu wenig Anstrengungen unternimmt, um gemeinsame Ziele zu erreichen und Sie in Ihren Zielen zu unterstützen, dann handelt es sich um ein einseitiges Unterfangen, aus dem Sie einen Ausweg brauchen. Das Verständnis für kulturelle Unterschiede darf keine Einbahnstraße bleiben.
Autorin: Alica Trizma